Try – Über lehrreiche Fehl-Schläge
Als ich zu Trommeln anfing, war ich 17. Ein prima Alter, um gedankenlos, entfesselt und ohne schlechtes Gewissen Krach zu machen. Ich kam von der Schule nach Hause, ging schnurstracks in den Keller und verprügelte die Trommeln für die Erlebnisse der vergangenen sechs Stunden. Gelegentlich habe ich auch gezielt Songs geübt und später sogar mit einer gewissen Disziplin meine Rudiments heruntergetickt, bevor ich mich ans Set setzte. Und heute?
Gehe ich nicht mehr zur Schule. Dafür bin ich in manchem besser. Beispielsweise im Nachdenken. Was mich nämlich seit einer Weile umtreibt, ist die Frage, wie ein 50+-Adept seine Hände und Füße in einer leidlich zügigen Zeitspanne auf ein Niveau beamt, das den Begriff „spielfähig“ verdient. Denn ausschließlich mit mir selbst im Keller zu hocken ist definitiv nicht die Langfrist-Planung.
Damit der eventuelle Erfolg eine Chance hat, habe ich mir ein paar Gedanken zur Kernfrage gemacht: Was will ich erreichen? Das „bis wann“ habe ich vorerst ausgespart, weil Ehrgeiz zwar ganz hübsch sein kann, aber als falscher Ehrgeiz auch jede Menge Wände in den Weg zu stellen vermag, gegen die ich dann laufend mit dem Kopf rumple, weil die Theorie bekanntlich viel zügiger voran kommt als die Realität.
Trotzdem habe ich mir natürlich Gedanken über das „bis wann“ gemacht. Und dann habe ich das „bis wann“ hinter die Einzelposten geschrieben – mit konservativer Erwartung, denn mich auf dieser Seite zu überholen wäre ja durchaus positiv und motiviert zu mehr.
Im nächsten Schritt habe ich mir überlegt, welche Bücher und Schlagzeugschulen mir helfen könnten. Und wie. Und wobei. Der Fokus lag hierbei auf denen, die ich schon kenne, plus ein bisschen, was mir zufällig über den Weg lief. Das Ergebnis:
Startpunkt ist (Überraschung!): Georg Lawrence Stone – Stick Control. Damit übe ich seit einigen Wochen fünf bis sechs Mal die Woche für 20 bis 40 Minuten Rudiments. Das heißt, die ersten 12 nach Stones Anleitung im Vorwort. Dort schreibt er, man solle jede Zeile 20 Mal durchspielen, bevor man zur nächsten wechselnt.
Derzeit liege ich damit bei 90 bpm, was schon fixer ist als noch zu Anfang, als ich mit 40 bpm versuchte, die Bewegungs-Abläufe und die Arm-Handgelenk-Finger-Koordination in den Griff zu bekommen.
Nebenbei führe ich Buch. Notizbuch. Mit einer Handvoll Stichworten und Zahlen pro Einheit: Tag, bpm, Übungsinhalte. Und: Die Kontinuität scheint einen gewissen Erfolg zu haben, und das auf mehreren Ebenen.
Inzwischen klammert sich meine schwächere Hand nicht mehr kräftig am Stock fest, sondern lässt den Rebound – ähnlich wie die stärkere – locker zurück prallen. Auch die Schläge sind weniger pendelnd und eierig, mitunter sogar schon gradlinig. Das braucht sicher noch Aufmerksamkeit, ist aber vielversprechend.
Meine Wirbel – ich versuche jeden Tag, das Tempo von langsam auf schneller zu steigern und kurz vor der Schmerzgrenze für eine Weile zu halten, bevor ich wieder langsamer werde (wenn’s mir nicht die Schlagzahl spontan halbiert) – meine Wirbel sind inzwischen schon zügiger. Das finde ich gleichfalls positiv, auch wenn die Einhand-Variante wie auch die Doppel-Schläge vom Tempo nicht wirklich beeindrucken. Und die Doppel-Schläge hoppeln auch etwas, zumal – Sie ahnen, welche Hand es wohl sein mag…
Egal. Denn eine Baustelle zu erkennen ist schon die Hälfte der Lösung. Der Rest ist Aufmerksamkeit, Geduld und Fleiß.
Und was mich besonders freut: Ich fliege beim Wechsel von Sticking 5 auf Sticking 6 und später beim Wechsel von Sticking 7 auf Sticking 8 nicht mehr raus und schaffe es zudem, die beiden gradzahligen flüssig durchzuspielen. Welche das sind? Die verschobenen Paradiddle: RLLR LRRL RLLR LRRL und RLRL LRLR RLRL LRLR.
Zugegeben, Sensationen klingen anders. Aber Erfolge motivieren auch im Kleinen. Und wenn Motivation der Treibstoff für weiteren Fortschritt ist, nehme ich besser mit, was ich kriegen kann. Warum auch nicht?
Ich hab‘s mir ja erarbeitet.
PS: Try ist ein Titel vom Album The Truth About Love der Sängerin P!NK.
Abbildungen: Flamadiddle