Slowness – Practice Sticks aus Stahl
Es ist wie so oft: Da erzählt man etwas voller Stolz und dann kommt einer um die Ecke und sagt: Da hast du was vergessen. So ging es mir kürzlich auch, nachdem ich die diversen Practice Sticks getestet hatte und den Artikel in einem Drum-Forum vorstellte. Prompt addierte jemand zu meiner Summe der Erkenntnis den Bericht eines Bekannten, der mit Stahl-Sticks übt. Stahl-Sticks? Das muss ich ausprobieren!
Zuerst habe ich die Stahl-Sticks bei den üblichen Geldverwertern gesucht. Als das nichts half, versicherte ich mich der Dienste einer Suchmaschine, die fündig wurde und mir die S-Drums Ironsticks präsentierte. Charmante 57,00 Euro kosten die Stahl-Stangen, das sind 5,20 Euro mehr als die Vic Firth SRH2CO Ralph Hardimon, die schwersten Vertreter aus dem schon erwähnten Practice-Stick-Test.
Deutlich mehr als die Preise unterscheiden sich allerdings die Gewichte: Ein Ironstick wiegt in etwa so viel wie vier Ralph Hardimons. Oder etwas mehr als eine Dose Mais. Und kaum weniger als eine große Dose Bier (nein, nicht die von Faxe!). Oder etwas weniger als sechs Paar der anderen Practice-Sticks aus dem Test, wie die Waage belegt:
Stahl – warum überhaupt?
Die Frage, warum sich jemand überhaupt mit so schweren Stöcken aus Stahl abplagen sollte, ist berechtigt und bedarf einer Antwort. Oder mehrerer. Denn eine weitere Frage ist: Wer verwendet die überhaupt?
Das Wer ist oben zum Teil schon beantwortet worden: Unter anderem sind es Trommler in Symphonie-Orchestern, die derartige Sticks verwenden, um Präzision zu üben. Aber es gibt noch andere Vertreter, und einer von ihnen ist sehr prominent:
Kein geringerer als Jojo Mayer stößt in dasselbe Horn. Auch er greift zu Stahl-Sticks, um Technik zu trainieren. Seine Begründung ist, dass ihr hohes Gewicht die Bewegungsabläufe langsamer macht, was die Analyse erleichtert. Er warnt allerdings auch davor, sie lange zu nutzen, denn das geht auf die Handgelenke. Ebenso ist nicht zu empfehlen, mit ihnen auf Tempo zu üben, denn das ist erstaunlicher Weise kontraproduktiv und macht langsamer.
Anbieter S-Drums selber hat folgendes zum Thema Stahl als Stick zu sagen:
Ironsticks sind ideal, um die eigene Spieltechnik zu überprüfen und zu verbessern. Da diese Sticks träger reagieren als Holzsticks, machen sich Unsauberkeiten in der Spieltechnik sofort bemerkbar. Ironsticks sollten nur auf einen Gummipad verwendet werden und nicht auf dem Drumset oder den Becken. Nur für kurze Übungseinheiten gedacht.
Was also bleibt?
Spieltechnik überprüfen! Die Ironsticks sind also eine Art Performance-TÜV im Langformat. Und da solche Anti-Schluder-Schleudern nie schaden können, habe ich direkt eine Mail an S-Drums geschrieben, und jetzt kann ich ausprobieren, wie es so ist mit dem Stahl-Stangen im Stock-Design.
Auspacken und anpacken
Die Ironsticks, so erfuhr ich von S-Drums Inhaber Max Schmidtkonz, werden eigens für S-Drums von einem Unternehmen in Deutschland produziert, gefertigt mit der CNC-Maschine und von Hand nochmal fein poliert. Das erklärt auch die zweckdienliche Verpackung aus Wellpappe und die grau-öligen Schlieren auf den Sticks. Letztere sind mutmaßlich als Schutz vor Feuchtigkeit gedacht und lassen sich mit einem trockenen Haushaltstuch abwischen. Wer es noch sauberer haben möchte, kann ergänzend zu etwas Spülmittel greifen und die Stahl-Sticks danach abtrocknen.
Die Sticks, so S-Drums, sollten ausschließlich auf dem Pad gespielt werden. Max Schmidtkonz selbst spielt die Sticks auf einem Pad, wie es Billy Gladstone entwickelt hatte, ein Snare-Ufo, das aussieht wie ein Hut: schwarzer Gummizylinder in der Mitte, umgeben von einem flachen Gummirand. Ich greife stattdessen wieder zum Evans-Pad, das sich als Referenz bereits verdient gemacht hat und darum den Vergleich mit den anderen Probanden erleichtert.
In die Hand genommen machen die Ironsticks ihr Gewicht unmittelbar deutlich – ihr Kopf sackt direkt nach vorne auf das Practice-Pad, noch bevor sich die Handmuskulatur ihrer Aufgabe besinnen kann. Abgesehen davon halten sie sich relativ normal. Sie sind zwar träge, aber nicht gänzlich ohne Rebound, und einen Sweet-Spot haben sie auch.
Dennoch ist jede Bewegung von einer nicht unerheblichen Trägheit begleitet – der Rebound fällt nicht hoch aus und Hubarbeit ist unumgänglich. Jede Ungleichheit in den Händen dokumentieren die Stahl-Sticks unmittelbar. Und sollte ein Stick zu locker gehalten werden und zur Flucht ansetzen, ist das nur schwer zu verhindern. Falls also jemand schlampen möchte: Obacht mit den Füßen und weit weg vom Drum-Set üben!
Spielgefühl
Wie schon kurz angerissen, spielen sich die Ironsticks ähnlich normalen Sticks, wobei ihr hohes Gewicht den Rebound gravitätisch untergräbt und souverän Tempo verhindert. Und genau das ist ihr Zweck: durch schlichte Masse eine langsame und hierdurch besonders kontrollierte Handhabung des Werkzeugs einzufordern.
Die kontrollierte Handhabung funktioniert hervorragend: Die Sticks zu heben ist ein kleines Stück Arbeit, sie bewusst und präzise zu senken ebenso, ihre Reaktion angemessen zu würdigen ein drittes Stück. Handhaltung, Bewegung der Gelenke, das Zusammenspiel von Fingern, Hand und Arm – all das kommt in ungewohnt deutlicher Form zu Bewusstsein. Anders ausgedrückt: Die Trägheit der Masse sorgt dafür, dass alle Bewegungen durch den verlangsamten Ablauf in feinerem Detail wahrgenommen werden können. Klingt drollig, ist aber so:
Jede Bewegung wird in Gestalt vervielfachter Muskel-Rückmeldungen dokumentiert, es gibt also mehr Zwischenstadien zwischen oben und unten, hoch und runter zu entdecken. Das erleichtert die Feinjustage.
Der Feinjustage hilft übrigens auch die Kopfform. Da sie zwischen Eichel und Fass gestaltet ist, trifft der Kopf je nach Winkel des Sticks mit einer anderen Stelle und damit einer anderen Fläche auf das Practice-Pad. Das Resultat ist, dass der Ton anders wird, und zwar schon bei relativ geringen Unterschieden in der Stockhaltung. Wer ein gutes Ohr hat, wird zügig Handlungsbedarf ableiten und Hände wie Arme neu positionieren.
Und dann sind die Ironsticks gnadenlos, was Schludrigkeiten im Timing betrifft. Mal fix kompensieren gehört mit Stahl in der Hand definitiv ins Reich der Träume. Da hilft nur, einen Gang herunter zu schalten, auf das Metronom zu hören und brav mitzuzählen. (Falls das jemand auch dem Metronom überlassen möchte – zumindest aber, die Achtel oder Sechzehntel verhalten mitzupiepsen – dem kann ich einen Blick auf den Metronom-Test von Flamadiddle empfehlen.)
Was immer im Blick zu behalten ist:
Die Ironsticks sind sehr schwer und mit ihnen zu üben sollte sehr konzentriert erfolgen. Wegen ihres Gewichts sind sie auch nicht dafür geeignet, eine Stunde mit ihnen durchzuspielen. Als Analyse- und Hilfswerkzeuge ist ihr Zweck, in einem kurzen Zeitfenster – ja nach Fragestellung, Schwierigkeitsgrad und Kondition zwischen 5 und 15 Minuten – mit maximaler Aufmerksamkeit seine Bewegungsabläufe langsam auszuführen, dieses zu analysieren und in der Ausführung zu verbessern.
Einsatz
Wie oben schon angerissen, sind die S-Drums Ironsticks keine Tempomacher. Tatsächlich endet der Versuch, mit ihnen High-Speed zu spielen, schnell in verspannter Muskulatur, weil ihr Gewicht und ihr geringer Rebound in einem Maß Arbeit einfordern, die jeden theoretisch denkbaren Geschwindigkeitsrauch im Keim erstickt.
Stahl-Sticks sind ausschließlich ein Hilfswerkzeug, um die optimale Stick-Kontrolle zu erlernen und zu verfeinern. Nicht mehr und nicht weniger. Für diesen Zweck lassen sich verschiedene Übungs-Szenarien denken, wie diese Spezialisten sinnvoll genutzt werden können:
- Im täglichen Workout beispielsweise für fünf Minuten zum Aufwärmen – langsam, konzentriert, korrekt
- Im täglichen Workout in einer gezielten Einheit für saubere Singles, saubere Doubles, saubere Paradiddle…
- In einer täglichen Mini-Session dynamische Lautstärke verfeinern
- In einer täglichen Mini-Session Akzente üben
- Ein bis zwei Mal wöchentlich eine Seite Stick Control durchspielt, langsam und mit Metronom natürlich
- Bei Bedarf, um neue tricky Stickings langsam und nachvollziehbar einzuüben, zum Beispiel eine Kombination aus Achteln, Triolen und Quintolen oder drei gegen vier und fünf gegen sieben und… – euch fällt schon was ein!
Diese kleine Ideen-Sammlung lässt sich natürlich erweitern (gerne in den Kommentaren). In jedem Fall ist der Slo-Mo-Zwang der Stahl-Sticks ein echter Eye-, Ear- und Brain-Opener (so viele schöne anglisierte Buzzwords, mio dio!), die das eigene Spiel unter das motorische Brennglas legen und das Potenzial haben, die eigene Selbstsicherheit als partielle Illusion zu entlarven.
Fazit
Die S-Drums Ironsticks sind langsam und schwer. Und das ist gut so. Nicht, um bullige Handgelenks-Muskeln zu entwickeln, sondern um zu konzentrierter und sauberer Ausführung von Schlagfolgen gebremst zu werden. Ironsticks helfen, in den Kriechganz herunter zu schalten und statt Tempo die Präzision wie unter der akustischen Lupe vor Augen und Ohren geführt zu bekommen.
Die Stahl-Stöcke können so als Helfer im täglichen Warm-up oder für eine spezielle Einheit verwendet werden oder ab und an in der Woche, um an neuen Schlagfolgen zu arbeiten oder um sich seiner Grundlagen immer wieder rückzuversichern oder um Dynamik und Lautstärke zu über oder Akzente bewusster auszuführen oder… – offenkundig sind sie vielfältig. Aber sind sie damit auch ein Muss?
Für mich sind sie es in jedem Fall. Sie sind ein großartiger Zugewinn und ich freue mich, sie zur Verfügung zu haben, denn in den wenigen Wochen, die ich sie jetzt regelmäßig für 5 bis 15-minütige Einheiten einsetze, hat sich die Genauigkeit meines Spiels verbessert – und das über alle verfügbaren Tempi.
Zugleich ist die Sicherheit mit allen Sticks gewachsen, zumal in der linken, schwächeren Hand, die nun endlich verstanden zu haben scheint, was genau sie da treibt, um gelegentlich hinter rechts her zu hinken – im wesentlichen nämlich, nicht so gezielt und entschieden zuzufassen. Entlarvt hat das die träge Masse der Stahl-Sticks, die mit Spar-Rebound schlicht mehr Engagement einforderte, damit die Bewegung auch kontrolliert von oben nach unten und wieder zurück erfolgte.
Auch was die Zielgenauigkeit betrifft, sind die Sticks eine Hilfe. Weil alles langsamer abläuft, ist der Punkt-Fokus bei jedem Schlag entsprechend leichter zu justieren. Und mit dem Erinnerungsvermögen der Muskulatur funktioniert das mit schneckigen 50 bpm erworbene Können auch bei zügigen 100 bpm oder rasanten 16-teln bei 220 bpm (ok, an die muss ich mich noch etwas heranarbeiten…).
Und gibt es auch etwas zu meckern?
Ehrlich gesagt: Mir fällt nicht ein. Und das ist selten…!
S-Drums Ironsticks – Daten
- Anbieter: S-Drums
- Name: Ironsticks
- Länge: 408 mm
- Durchmesser: 14 mm
- Gewicht: 463/465 g
- Material: rostfreier Stahl
- Preis: 57,00 Euro
Die Daten der S-Drums Ironsticks habe ich auch in der Übersichts-Tabelle des Tests der dedizierten Practice-Sticks am Ende des Artikels ergänzt. So stehen sie auch dort zum direkten Vergleich zur Verfügung.
PS: Slowness ist ein Titel der texanischen Band Calexico und erschien zuerst auf ihrem Album Carried To Dust.
Abbildungen: Flamadiddle